Hans-Christian Ströbele und der Ukraine-Krieg

Grüner Mahner zur Besonnenheit

07:03 Minuten
Der Gruenen-Politiker Hans-Christian Ströbele sitzt im Jahr 2019 in seiner Berliner Wohnung, hinter ihm ein langes Regal mit Aktenordnern.
Hans-Christian Ströbele hat sich selbst nie als Pazifist bezeichnet. Es waren andere, die ihn so nannten. © imago images / epd / Rolf Zöllner
Von Claudia van Laak · 20.05.2022
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Die Grünen verstehen sich als Pazifisten – doch bereits zum zweiten Mal werfen sie diese Grundsätze über Bord. Die Bundeswehr wird hochgerüstet, schwere Waffen gehen in die Ukraine. Wie denkt Hans-Christian Ströbele darüber – ein Grüner der ersten Stunde?
Das Fundament der Grünen ist pazifistisch. Und doch haben sie dem ersten Auslandskampfeinsatz der Bundeswehr zugestimmt –1999 während des Kosovokrieges. Nun sind sie wieder in der Bundesregierung und wieder gehen pazifistische Grundsätze über Bord:
Mit Zustimmung der Grünen gibt es Milliarden für die Bundeswehr und Deutschland liefert schwere Waffen an die Ukraine. Obwohl all das dem Grundsatzprogramm der Partei widerspricht, geht es ohne größere interne Diskussion ab.
Wie denken berühmte Grüne, die seit den Anfängen der Partei dabei sind, über diesen Politikwechsel? Zum Beispiel Hans-Christian Ströbele. Der frühere RAF-Anwalt ist seit 1985 Mitglied der Grünen. 20 Jahre saß er für die Partei im Bundestag.

Berühmtes Fahrrad schon lange ungenutzt

Vor dem Besuch bei ihm fragt er: „Kommen Sie mit dem Fahrrad?“ Dann folgt eine detaillierte Wegbeschreibung. Der Grünen-Politiker wohnt nicht in Kreuzberg – wie viele glauben –, sondern im Stadtteil Tiergarten, direkt an der Spree.
Keine fünf Fahrradminuten sind es zum Schloss Bellevue. Doch der alte Drahtesel, mit dem Hans-Christian Ströbele auf nahezu jeder Demo in Kreuzberg unterwegs war, steht schon lange ungenutzt herum.
Der 82-Jährige verlässt kaum noch die große Altbauwohnung im Hochparterre. „Ich habe eine Nervenkrankheit, die bewirkt, dass meine Arm- und Beinmuskeln und auch meine Halsmuskeln eingehen, also absterben.
Also ich habe hier einen Rollator, und habe da draußen eine Raupe, mit der ich die Treppe runterkomme. Aber außer, dass ich hier ein bisschen spazieren gehe mit Begleitung, gehe ich nicht … Ich kann auch zu keiner Versammlung gehen oder so.“

Gewissheiten haben sich als falsch herausgestellt

Weiße lange Haare zu einem schmalen Körper. Im Flur steht ein Rollstuhl, neben dem Schreibtisch ein Rollator. Hinter Hans-Christian Ströbele ziehen die Ausflugsschiffe auf der Spree vorbei. Die Fenster sind geöffnet, der Duft von blühendem Rotdorn weht hinein, die Spatzen tschilpen. Dass seine Krankheit ihn in der Wohnung hält – damit kommt der durch und durch politische Mensch nur schwer klar.
„Das ist gerade in der jetzigen Situation schon unangenehm. Vorher dachte ich, jetzt bist Du im Ruhestand, kannst Dich um Dich selber kümmern, Deine Memoiren schreiben, aber jetzt komme ich nicht dazu.“
Denn der Krieg in der Ukraine treibt ihn um. Dass es Gewissheiten gab, die sich über Nacht als falsch herausstellten. Zum Beispiel glaubte er, „dass man so enge wirtschaftliche Verbindungen hat, dass man eigentlich gar nicht mehr gegeneinander Krieg führen kann.“
Oder dass er sich wie viele andere im russischen Präsidenten Wladimir Putin täuschte: Er würde seine Truppen nicht in die Ukraine einmarschieren lassen, davon war Ströbele bis zuletzt überzeugt. „Weil es ja im Grunde genommen, auch aus russischer Sicht, das stellt sich ja jetzt heraus, fürchterlich dumm ist, was er da macht.“
Der russische Präsident Wladimir Putin geht im Deutschen Bundestag im September 2001 nach seiner Rede durch den Plenarsaal, gefolgt von Bundespräsident Johannes Rau, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Bundeskanzler Gerhard Schröder, links Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement.
Wladimir Putin sprach 2001 als erster russischer Präsident im Deutschen Bundestag. Ströbele sagt heute, er habe das gut gefunden – und sei dennoch nicht aufgestanden.© picture-alliance / ZB
Der Grüne erinnert sich noch gut an die Rede Putins im Bundestag 2001. Der erste Auftritt eines russischen Präsidenten im Parlament, dazu noch eine Ansprache auf Deutsch. „Ich fand gut, dass er da redete“, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete. „Ich bin trotzdem nicht aufgestanden, und ich war der Einzige, und ich habe auch nicht geklatscht.“

"Für jede Waffe, die wir liefern, verantwortlich“

Der Anwalt hat sich nie als Pazifist bezeichnet, es waren andere, die ihn dazu machten. Hans-Christian Ströbele diente bei der Bundesluftwaffe, 1980 rief er als Mitgründer der Berliner linksalternativen Tageszeitung „taz“ dazu auf, Geld für den bewaffneten Kampf der linksgerichteten Guerilla in El Salvador zu sammeln.
Die Waffenlieferungen an die Ukraine trägt er mit, fordert allerdings von seiner Partei ein besonnenes Vorgehen. Er sei kein großer Verehrer von Bundeskanzler Olaf Scholz, aber dass dieser bei der Lieferung schwerer Waffen gezögert habe, sei richtig gewesen. Diesen Leitsatz hätten schon die Römer gebraucht:
„Bei jedem Krieg und bei jeder Kriegsbeteiligung, auch wenn es nur Waffenlieferungen sind: Bedenke das Ende.“ Das müsse man auch heute, so Ströbele. „Man muss sehen: Was kann passieren, was riskiert man. Wir sind für jede Waffe, die wir liefern, verantwortlich.“
Mehr Nachdenklichkeit und eine weniger militaristische Sprache, das wünscht sich der Grüne von seiner Partei, der er seit 37 Jahren angehört. Wenn er von Grünen Sätze höre wie „Das muss ein Sieg der Ukraine werden“, oder „Wir verteidigen jeden Meter ukrainischen Territoriums“, dann zucke er zusammen.
Einen russischen Atomschlag könne niemand ausschließen. „Wenn man sich so in ihm geirrt hat, vorher, dann halte ich alles für möglich“, sagt Ströbele in Bezug auf Wladimir Putin. „Gibt es denn jemanden, der sagt: Das wagt er nie, das macht er nicht?“

Fremdeln mit der eigenen Partei

Hans-Christian Ströbele gibt Interviews, er twittert, ist stolz auf 280.000 Follower. Doch der Einfluss des 82-Jährigen schwindet, auch in seiner eigenen Partei, mit der er inzwischen fremdelt. Ungeheuer erfolgreich seien ja die Grünen gerade, sagt er – aber es klingt, als könne er sich über diesen Erfolg nicht freuen. „Wir wollten keine Partei sein. Und heutzutage unterscheiden sich die Grünen in nichts von den anderen Abgeordneten, noch nicht einmal in der Kleidung“, beklagt er.
„Ich gehöre nicht mehr in die Zeit“, analysiert der frühere RAF-Anwalt selbstkritisch. Damit meint er auch sein Unvermögen, sich in der digitalen Welt zurechtzufinden. „Mit dem PC komme ich überhaupt nicht zurecht, selbst wenn jemand sagt, das steht doch alles da. Wenn die mir erklären, wie das geht – das sind ja alles englische Ausdrücke. Ich hab da hinten natürlich ein englisches Lexikon stehen, da könnte ich nachgucken, aber da stehen die nicht drin. Also allein die Sprache, das ist wie Chinesisch für mich.“

Politische Initiative für analoge Menschen

Seine Welt sind Akten aus Papier. In neun Reihen ziehen sie sich bis unter die hohe Stuckdecke. Am Regal hängt ein Metallschild mit der Aufschrift: „Sozialistisches Anwaltskollektiv“ – das war die gemeinsame Kanzlei mit dem späteren NPD-Mitglied Horst Mahler. Daneben ein Plakat: Es kündigt die Verleihung des Fritz-Bauer-Preises für das politische Lebenswerk Ströbeles an.
2018 war das. „Diese Aktenwand, die Sie hier sehen, das ist ein Viertel von dem, was ich hier in der Wohnung stehen habe.“
Auch wenn vieles nicht mehr geht – eine politische Initiative will er noch starten, für alle analogen Menschen. Niemand dürfe gezwungen werden, nur noch digital mit Behörden, Krankenkassen oder Banken zu kommunizieren, fordert Hans-Christian Ströbele. Wer weiß – vielleicht zieht er dafür noch vor Gericht.

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